Ochlokratie: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Ochlokratie''' ({{grcS|ὀχλοκρατία}}, aus {{lang|grc|ὄχλος|óchlos|de=Menschenmenge}}, ‚Masse‘, ‚[[Pöbel]]‘, und [[-kratie]]), deutsch auch '''Pöbelherrschaft''', ist ein abwertender Begriff für eine [[Herrschaftsform]], bei der eine [[Masse (Soziologie)|Masse]] ihre politischen Entschlüsse als Mehrheit oder durch Gewalt eigennützig durchsetzt.
'''Ochlokratie''' ({{grcS|ὀχλοκρατία}}, aus {{lang|grc|ὄχλος|óchlos|de=Menschenmenge}}, ‚Masse‘, ‚Pöbel‘, und -kratie), deutsch auch '''Pöbelherrschaft''', ist ein abwertender Begriff für eine Herrschaftsform, bei der eine Masse ihre politischen Entschlüsse als Mehrheit oder durch Gewalt eigennützig durchsetzt.
 
== Geschichte ==
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Der Begriff wurde durch den Historiker [[Polybios]] (um 200–118 v.&nbsp;Chr.) in die antike griechische [[Staatstheorie]] eingeführt. In seinem [[Verfassungskreislauf]] stellt er die Ochlokratie als Verfallsform oder „Entartung“ der [[Demokratie|demokratischen Staatsform]] dar. Dabei gehe die Orientierung am [[Gemeinwohl]] verloren, stattdessen würden Eigennutz und Habsucht das Handeln der Bürger bestimmen.<ref>Erich Bayer (Hrsg.): ''Wörterbuch zur Geschichte. Begriffe und Fachausdrücke'' (= ''[[Kröners Taschenausgabe]].'' Band 289). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 1980, ISBN 3-520-28904-0, S. 383; [[Bernd Guggenberger]]: ''Demokratie/Demokratietheorie''. In: [[Dieter Nohlen]] (Hrsg.): ''Lexikon der Politik, Band 1: Politische Theorien''. Directmedia, Berlin 2004, S. 36; Tobias Bevc: ''Politische Theorie''. UTB Basics, 2012, S. 60 u.ö.; in einem Aufsatz des Bandes [[Reinhart Koselleck]], [[Heinrich Lutz]], [[Jörn Rüsen]] (Hrsg.): ''Formen der Geschichtsschreibung''. dtv, München 1982, S. 398, ist statt von Entartung von „Verfallsformen“ der guten Verfassungen die Rede.</ref>
Der Begriff wurde durch den Historiker Polybios (um 200–118 v.&nbsp;Chr.) in die antike griechische Staatstheorie eingeführt. In seinem Verfassungskreislauf stellt er die Ochlokratie als Verfallsform oder „Entartung“ der [[Demokratie|demokratischen Staatsform]] dar. Dabei gehe die Orientierung am Gemeinwohl verloren, stattdessen würden Eigennutz und Habsucht das Handeln der Bürger bestimmen.


Schon [[Verfassungsdebatte bei Herodot|Herodot]] unterschied zwischen einer guten und einer schlechten Form der Herrschaft aller Bürger. Auch [[Platon]] (427–347 v.&nbsp;Chr.) unterschied eine gelungene von einer misslungenen Demokratie, führte aber hier noch keine eigene Terminologie ein.<ref>Platon, ''[[Politikos]]'', 292a.</ref> [[Aristoteles]] (384–322 v.&nbsp;Chr.) beschrieb später die [[Politie]] (gr. {{lang|grc|πολιτεία|politeia|deVolk}}) als die „schlechte“ Ausprägung einer [[Staatsform]], in der das Volk herrscht.<ref>Aristoteles: ''[[Nikomachische Ethik]]'', 1160a.</ref> [[Polybios]] schließlich differenzierte terminologisch und bezeichnet mit ''Ochlokratie'' die negative Variante der Volksherrschaft, während der Begriff „Demokratie“ bei ihm positiv besetzt ist.<ref>Polybios 6,4,6; 6,4,10; 6,57,9.</ref>
Schon Herodot unterschied zwischen einer guten und einer schlechten Form der Herrschaft aller Bürger. Auch [[Platon]] (427–347 v.&nbsp;Chr.) unterschied eine gelungene von einer misslungenen Demokratie, führte aber hier noch keine eigene Terminologie ein. Aristoteles (384–322 v.&nbsp;Chr.) beschrieb später die [[Politie]] (gr. {{lang|grc|πολιτεία|politeia|deVolk}}) als die „schlechte“ Ausprägung einer Staatsform, in der das Volk herrscht. Polybios schließlich differenzierte terminologisch und bezeichnet mit ''Ochlokratie'' die negative Variante der Volksherrschaft, während der Begriff „Demokratie“ bei ihm positiv besetzt ist.


Grundsätzlich herrschte in der antiken Staatstheorie seit Platon die Vorstellung, dass jede am Gemeinwohl orientierte Herrschaftsform ein entartetes, nur an den Interessen der Herrschenden orientiertes Gegenstück habe.<ref>Vgl. Nippel, ''Politische Theorien der griechisch-römischen Antike'', S. 30.</ref> Aus der Ansicht heraus, dass die Grundformen der Verfassungen notwendigerweise instabil sind, hat zunächst Polybios die Idee des [[Verfassungskreislauf]]s entwickelt, die diese Herrschaftsformen zueinander in Beziehung setzt.<ref>Polybios 1,1,6,3–10.</ref>
Grundsätzlich herrschte in der antiken Staatstheorie seit Platon die Vorstellung, dass jede am Gemeinwohl orientierte Herrschaftsform ein entartetes, nur an den Interessen der Herrschenden orientiertes Gegenstück habe. Aus der Ansicht heraus, dass die Grundformen der Verfassungen notwendigerweise instabil sind, hat zunächst Polybios die Idee des Verfassungskreislaufs entwickelt, die diese Herrschaftsformen zueinander in Beziehung setzt.


== Laokratie ==
== Laokratie ==


Selten wird in der älteren Literatur als [[Synonymie|Synonym]] das Wort '''Laokratie''' verwendet (griech.: {{lang|grc|λαός|laos|deMacht}}, ‚Herrschaft‘). Wörtlich übersetzt heißt Laokratie ‚[[Volksherrschaft]]‘.<ref>Carl Venator: ''Die in unserer Sprache gebräuchlichen Fremdwörter, mit Angabe ihrer Aussprache, ihrer Verdeutschung und Erklärung, in alphabetischer Ordnung sowohl zum Hausgebrauch für Jedermann, als auch für Schulen.'' Darmstadt 1838, S. 273 ({{Google Buch |BuchID273 |Linktextsd5TAAAAYAAJ |SeiteDigitalisat }}); „die Volksherrschaft“ in: Otto Friedrich Rammler: ''Universal-Briefsteller oder Musterbuch zur Abfassung aller im Geschäfts- und gemeinen Leben, sowie in freundschaftlichen Verhältnissen vorkommenden Aufsätze. Ein Hand- und Hülfsbuch für Personen jeden Standes.'' Leipzig 1840, S. 364 ({{Google Buch |BuchID364 |Linktexte7BGAAAAcAAJ |SeiteDigitalisat }}); Synonym für „Demokratie“ in: Christian Daniel Voß: ''Handbuch der allgemeinen Staatswissenschaft nach Schlözers Grundriß bearbeitet'', Leipzig 1802, S. 72 ({{Google Buch |BuchIDPT53 |LinktextgRtBAAAAcAAJ |SeiteDigitalisat }}); „Begünstigung des Volkes, wenn die Plebs mehr Macht besitzt, was man gemeinhin Laokratie oder Ochlokratie nennt, wie es sich einst in [[Römisches Reich|Rom]] verhielt, als die Plebs, indem sie gegen die patres in Wehrstreik trat“, in: [[Christoph Besold]]: ''Synopse der Politik.'' Insel Verlag, 2000, S. 115 ({{Google Buch |BuchID115 }}).</ref>
Selten wird in der älteren Literatur als Synonym das Wort '''Laokratie''' verwendet (griech.: {{lang|grc|λαός|laos|deMacht}}, ‚Herrschaft‘). Wörtlich übersetzt heißt Laokratie ‚Volksherrschaft‘.


== Literatur ==
== Literatur ==


* [[Reinhold Bichler]]: ''Politisches Denken im Hellenismus''. In: [[Iring Fetscher]], [[Herfried Münkler]] (Hrsg.): ''Pipers Handbuch der politischen Ideen.'' Band: 1: ''Frühe Hochkulturen und europäische Antike.'' Piper, München [u.&nbsp;a.] 1988, ISBN 3-492-02951-5, S. 439–484.
* Reinhold Bichler: ''Politisches Denken im Hellenismus''. In: Iring Fetscher, Herfried Münkler (Hrsg.): ''Pipers Handbuch der politischen Ideen.'' Band: 1: ''Frühe Hochkulturen und europäische Antike.'' Piper, München [u.&nbsp;a.] 1988, ISBN 3-492-02951-5, S. 439–484.


* {{Literatur |AutorEintrag „Ochlokratie“ in Band „Mo-O“ |HrsgHistorisches Wörterbuch der Philosophie (HWPH) |Band2. |VerlagBasel |Datum709 |ISBN10.24894/HWPh.2833}}
* Wilfried Nippel: ''Politische Theorien der griechisch-römischen Antike.'' In: Hans-Joachim Lieber: ''Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart'' (=&nbsp;''Bundeszentrale für Politische Bildung. Schriftenreihe'' 299, ''Studien zur Geschichte und Politik''). 2. durchgesehene Auflage. Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 1993, ISBN 3-89331-167-X, S. 17–46, insbes. S. 30.
 
* [[Wilfried Nippel]]: ''Politische Theorien der griechisch-römischen Antike.'' In: [[Hans-Joachim Lieber]]: ''Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart'' (=&nbsp;''Bundeszentrale für Politische Bildung. Schriftenreihe'' 299, ''Studien zur Geschichte und Politik''). 2. durchgesehene Auflage. Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 1993, ISBN 3-89331-167-X, S. 17–46, insbes. S. 30.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* {{Internetquelle |urlMetzler Lexikon Philosophie – Ochlokratie |werkSpringer-Verlag Deutschland |datum2022-05-15 |abruf-verborgen=1}}
== Einzelnachweise ==
<references />
[[Kategorie:Demokratietheorie]]
[[Kategorie:Staatsform]]
[[Kategorie:Herrschaftsform]]
[[Kategorie:Antike Verfassungstheorie]]

Version vom 4. August 2024, 15:19 Uhr

Ochlokratie (altgriechisch ὀχλοκρατία, aus ὄχλος óchlos, deutsch ‚Menschenmenge‘, ‚Masse‘, ‚Pöbel‘, und -kratie), deutsch auch Pöbelherrschaft, ist ein abwertender Begriff für eine Herrschaftsform, bei der eine Masse ihre politischen Entschlüsse als Mehrheit oder durch Gewalt eigennützig durchsetzt.

Geschichte

Orientierung
Gemeinwohl Eigennutz
Zahl der
Herr-
schenden
einer Monarchie Tyrannis
einige Aristokratie Oligarchie
alle Demokratie Ochlokratie
Herrschaftsformen nach Polybios

Der Begriff wurde durch den Historiker Polybios (um 200–118 v. Chr.) in die antike griechische Staatstheorie eingeführt. In seinem Verfassungskreislauf stellt er die Ochlokratie als Verfallsform oder „Entartung“ der demokratischen Staatsform dar. Dabei gehe die Orientierung am Gemeinwohl verloren, stattdessen würden Eigennutz und Habsucht das Handeln der Bürger bestimmen.

Schon Herodot unterschied zwischen einer guten und einer schlechten Form der Herrschaft aller Bürger. Auch Platon (427–347 v. Chr.) unterschied eine gelungene von einer misslungenen Demokratie, führte aber hier noch keine eigene Terminologie ein. Aristoteles (384–322 v. Chr.) beschrieb später die Politie (gr. ) als die „schlechte“ Ausprägung einer Staatsform, in der das Volk herrscht. Polybios schließlich differenzierte terminologisch und bezeichnet mit Ochlokratie die negative Variante der Volksherrschaft, während der Begriff „Demokratie“ bei ihm positiv besetzt ist.

Grundsätzlich herrschte in der antiken Staatstheorie seit Platon die Vorstellung, dass jede am Gemeinwohl orientierte Herrschaftsform ein entartetes, nur an den Interessen der Herrschenden orientiertes Gegenstück habe. Aus der Ansicht heraus, dass die Grundformen der Verfassungen notwendigerweise instabil sind, hat zunächst Polybios die Idee des Verfassungskreislaufs entwickelt, die diese Herrschaftsformen zueinander in Beziehung setzt.

Laokratie

Selten wird in der älteren Literatur als Synonym das Wort Laokratie verwendet (griech.: , ‚Herrschaft‘). Wörtlich übersetzt heißt Laokratie ‚Volksherrschaft‘.

Literatur

  • Reinhold Bichler: Politisches Denken im Hellenismus. In: Iring Fetscher, Herfried Münkler (Hrsg.): Pipers Handbuch der politischen Ideen. Band: 1: Frühe Hochkulturen und europäische Antike. Piper, München [u. a.] 1988, ISBN 3-492-02951-5, S. 439–484.
  • Wilfried Nippel: Politische Theorien der griechisch-römischen Antike. In: Hans-Joachim Lieber: Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart (= Bundeszentrale für Politische Bildung. Schriftenreihe 299, Studien zur Geschichte und Politik). 2. durchgesehene Auflage. Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 1993, ISBN 3-89331-167-X, S. 17–46, insbes. S. 30.

Weblinks