Kurt Georg Kiesinger

Aus Das unsichtbare Imperium

Kurt Georg Kiesinger ([ˈkʊʁt ˈɡeːɔʁk ˈkiːzɪŋɐ]; 6. April 1904 - 9. März 1988) war ein deutscher Politiker, der vom 1. Dezember 1966 bis zum 21. Oktober 1969 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland war. Bevor er Bundeskanzler wurde, war er von 1958 bis 1966 Ministerpräsident von Baden-Württemberg und von 1962 bis 1963 Präsident des Bundesrates. Von 1967 bis 1971 war er Vorsitzender der Christlich Demokratischen Union.

Kiesinger erwarb im März 1933 seine Zulassung als Rechtsanwalt und arbeitete von 1935 bis 1940 als Anwalt am Berliner Kammergericht. Er war 1933 in die NSDAP eingetreten, blieb aber ein weitgehend inaktives Mitglied. Um der Einberufung zu entgehen, fand er 1940 eine Anstellung im Auswärtigen Amt und wurde stellvertretender Leiter der Rundfunkabteilung des Auswärtigen Amtes. Während seiner Tätigkeit im Auswärtigen Amt wurde er von zwei Kollegen wegen seiner Anti-Nazi-Haltung denunziert. Im Jahr 1946 wurde er Mitglied der Christlich Demokratischen Union. 1949 wurde er in den Bundestag gewählt, dem er bis 1958 und erneut von 1969 bis 1980 angehörte. Er verließ die Bundespolitik für acht Jahre (von 1958 bis 1966), um als Ministerpräsident von Baden-Württemberg zu dienen, und wurde anschließend Bundeskanzler, indem er eine große Koalition mit der Sozialdemokratischen Partei von Willy Brandt bildete.

Kiesinger galt als hervorragender Redner und Vermittler und wurde als "Chef der Silberzunge" bezeichnet. Er war Autor von Gedichten und verschiedenen Büchern und gründete als Ministerpräsident von Baden-Württemberg die Universitäten von Konstanz und Ulm. Kiesinger gilt auch als umstritten, was vor allem auf seine Verbindung und sein Wirken mit den Nazis zurückzuführen ist. Vor allem die Studentenbewegung, aber auch andere Teile der Bevölkerung, sahen in Kiesinger einen Politiker, der für die unzureichende Vergangenheitsbewältigung der Deutschen stand.

Frühes Leben und nationalsozialistische Aktivitäten

Kurt Georg Kiesinger wurde in Ebingen, Königreich Württemberg (heute Albstadt, Baden-Württemberg), geboren. Sein Vater war kaufmännischer Angestellter in Unternehmen der örtlichen Textilindustrie. Kiesinger wurde katholisch getauft, weil seine Mutter katholisch, sein Vater aber evangelisch war. Seine Mutter starb sechs Monate nach seiner Geburt. Seine Großmutter mütterlicherseits übte einen starken Einfluss auf Kiesinger aus und förderte ihn, während sein Vater seinem Fortkommen gleichgültig gegenüberstand. Nach einem Jahr heiratete sein Vater erneut, und zwar eine Karoline Victoria Pfaff. Sie hatten sieben Kinder, von denen Kiesingers Halbschwester Maria ein Jahr nach ihrer Geburt starb. Pfaff war ebenfalls katholisch. Kiesinger wurde also von beiden Konfessionen geprägt und bezeichnete sich später gerne als "evangelischer Katholik". Politisch wuchs Kiesinger in einem liberalen, demokratisch gesinnten Milieu auf.

Kiesinger studierte Jura in Berlin und arbeitete von 1935 bis 1940 als Rechtsanwalt in Berlin. Als Student trat er in die (nicht-couleurtragenden) römisch-katholischen Korporationen KStV Alamannia Tübingen und Askania-Burgundia Berlin ein. Im Februar 1933 wurde er Mitglied der NSDAP, blieb aber weitgehend inaktiv. 1940 wurde er zu den Waffen gerufen, entging aber der Mobilisierung, indem er eine Stelle in der Rundfunkabteilung des Auswärtigen Amtes antrat. Von 1943 bis 1945 wurde er stellvertretender Leiter der Abteilung und Verbindungsmann zum Propagandaministerium. Er arbeitete unter Joachim von Ribbentrop, der später in Nürnberg zum Tode verurteilt werden sollte. Nach dem Krieg wurde er von den Amerikanern wegen seiner Verbindung zu Ribbentrop interniert und verbrachte 18 Monate im Lager Ludwigsburg, bevor er aufgrund einer Verwechslung entlassen wurde.

Die deutsch-französische Journalistin Beate Klarsfeld wies Kiesingers enge Verbindungen zu Ribbentrop und Joseph Goebbels, dem Leiter des Propagandaministeriums der Nazis, nach. Sie behauptete auch, Kiesinger sei hauptverantwortlich für den Inhalt der deutschen Auslandssendungen gewesen, die antisemitische und Kriegspropaganda enthielten, und habe eng mit den SS-Funktionären Gerhard Rühle und Franz Alfred Six zusammengearbeitet. Letzterer war für Massenmorde im von den Nazis besetzten Osteuropa verantwortlich und wurde im Einsatzgruppenprozess in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilt. Kiesinger hatte auch nach Bekanntwerden der Judenvernichtung weiterhin antisemitische Propaganda betrieben. Diese Anschuldigungen stützten sich zum Teil auf Dokumente, die Albert Norden über die Schuldigen an Kriegs- und Naziverbrechen veröffentlicht hatte.

Frühe politische Karriere

Kiesinger trat 1946 in die Christlich-Demokratische Union (CDU) ein. Ab 1946 gab er Privatunterricht für Jurastudenten, 1948 nahm er seine Tätigkeit als Rechtsanwalt wieder auf. Im Jahr 1947 wurde er auch ehrenamtlicher Generalsekretär der CDU in Württemberg-Hohenzollern.

Bei der Bundestagswahl 1949 wurde er in den Bundestag gewählt, dem er bis 1958 und erneut von 1969 bis 1980 angehörte. In seiner ersten Legislaturperiode vertrat er den Wahlkreis Ravensburg, in dem er ein Rekordergebnis von über 70 Prozent erzielte, ab 1969 den Wahlkreis Waldshut. Für die Bundestagswahl 1976 verzichtete Kiesinger auf seinen eigenen Wahlkreis und zog über die baden-württembergische Landesliste seiner Partei in den Bundestag ein. In den ersten beiden Legislaturperioden (1949-1957) war er Vorsitzender des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat. Bei der Wahl zum Bundestagspräsidenten am 19. Oktober 1950 erhielt Kiesinger 55 Stimmen gegen seinen Parteifreund Hermann Ehlers (201 Stimmen), obwohl er nicht vorgeschlagen worden war. 1951 wurde er Mitglied des CDU-Parteivorstandes. Vom 17. Dezember 1954 bis zum 29. Januar 1959 war er Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, dem er seit 1949 angehörte.

In dieser Zeit wurde er für seine rhetorische Brillanz und seine profunden Kenntnisse der Außenpolitik bekannt. Trotz der Anerkennung, die er in der christdemokratischen Fraktion genoss, wurde er bei verschiedenen Kabinettsumbesetzungen übergangen. Daher entschied er sich, von der Bundes- in die Landespolitik zu wechseln.

Ministerpräsident von Baden-Württemberg

Am 17. Dezember 1958 wurde Kiesinger Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, ein Amt, das er bis zum 1. Dezember 1966 innehatte. Zu dieser Zeit war Kiesinger auch Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg. Als Ministerpräsident war er vom 1. November 1962 bis zum 31. Oktober 1963 Präsident des Deutschen Bundesrates. Während seiner Amtszeit gründete er zwei Universitäten, die Universität Konstanz und die Universität Ulm.

In der Anfangszeit der Bundesrepublik Deutschland waren übergroße Koalitionen auf Landesebene keine Seltenheit, und so führte Kiesinger bis 1960 eine Koalition aus CDU, SPD, FDP/DVP und BHE, dann aber von 1960 bis 1966 eine CDU-FDP-Koalition. Am 15. April 1961 löste sich der BHE auf.

Kanzleramt

Weitere Informationen: Kiesinger-Kabinett

Nach dem Zusammenbruch der bestehenden CDU/CSU-FDP-Koalition wurde Kiesinger 1966 anstelle von Ludwig Erhard zum Bundeskanzler gewählt und führte ein neues Bündnis aus CDU/CSU und SPD an. Die von Kiesinger gebildete Regierung blieb fast drei Jahre lang an der Macht, mit dem SPD-Vorsitzenden Willy Brandt als Vizekanzler und Außenminister. Kiesinger baute die Spannungen mit den Staaten des Ostblocks ab und nahm diplomatische Beziehungen mit der Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien auf, lehnte aber größere Versöhnungsschritte ab. In Kiesingers Zeit als Bundeskanzler wurden auch eine Reihe fortschrittlicher Reformen durchgeführt. Der Rentenversicherungsschutz wurde 1967 durch die Abschaffung der Einkommensgrenze für die Pflichtmitgliedschaft erweitert. Im Bildungsbereich wurden Studienbeihilfen und ein Hochschulbauprogramm eingeführt, während eine Verfassungsreform von 1969 den Bund ermächtigte, gemeinsam mit den Ländern über eine gemeinsame Planungskommission an der Bildungsplanung mitzuwirken. Außerdem wurde ein Berufsbildungsgesetz eingeführt, und eine Neuordnung der Arbeitslosenversicherung förderte Umschulungsmaßnahmen, Beratungsdienste und Arbeitsbeschaffungsstellen. Außerdem mussten die Arbeitgeber nach dem Lohnfortzahlungsgesetz von 1969 allen Arbeitnehmern in den ersten sechs Wochen des Krankenstandes den Lohn zahlen. Im August 1969 wurde die Landabgaberente (eine höhere Sonderrente für Landwirte, die bereit waren, nach bestimmten Kriterien unrentable Betriebe abzutreten) eingeführt.

Der Historiker Tony Judt hat festgestellt, dass Kiesingers Kanzlerschaft, ebenso wie die Präsidentschaft von Heinrich Lübke, "einen eklatanten Widerspruch im Selbstverständnis der Bonner Republik" in Anbetracht ihrer früheren Nazi-Vergangenheit aufzeigte. Einer seiner Tiefpunkte als Bundeskanzler war 1968, als die Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld, die mit ihrem Mann Serge Klarsfeld gegen Naziverbrecher kämpfte, ihn auf dem Parteitag der Christdemokraten 1968 öffentlich ohrfeigte und ihn als Nazi bezeichnete. Sie tat dies auf Französisch und wiederholte - während sie von zwei Saaldienern aus dem Saal gezerrt wurde - ihre Worte auf Deutsch: "Kiesinger! Nazi! Abtreten!" (Kiesinger, der sich die linke Wange hielt, reagierte nicht. Bis zu seinem Tod weigerte er sich, den Vorfall zu kommentieren, und bei anderen Gelegenheiten leugnete er ausdrücklich, dass er 1933 aus Opportunismus in die NSDAP eingetreten war (obwohl er zugab, dass er in das deutsche Außenministerium eingetreten war, um seiner Einberufung zur Wehrmacht 1940 zu entgehen). Zu den anderen prominenten Kritikern gehörten die Schriftsteller Heinrich Böll und Günter Grass (Grass hatte 1966 einen offenen Brief geschrieben, in dem er Kiesinger aufforderte, die Kanzlerschaft nicht anzunehmen); 40 Jahre später gestand Grass in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Jahr 2006 eine Mitgliedschaft in der Waffen-SS, was zu einer eigenen Kontroverse führte.

Nach der Wahl 1969 zog die SPD eine Koalition mit der FDP vor und beendete damit die ununterbrochene Nachkriegsherrschaft der CDU-Kanzler. Kiesinger wurde von seinem ehemaligen Vizekanzler Willy Brandt als Bundeskanzler abgelöst.

Spätere Jahre und Tod

Kiesinger führte die CDU/CSU in der Opposition weiter und blieb bis 1980 Mitglied des Bundestages. Im Juli 1971 wurde Kiesinger von Rainer Barzel als Vorsitzender der Christlich Demokratischen Union abgelöst. 1972 hielt er die Hauptrede zur Begründung des konstruktiven Misstrauensvotums der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegen Willy Brandt im Bundestag. Die Wahl des damaligen CDU-Vorsitzenden Rainer Barzel zum Bundeskanzler scheiterte an der Bestechung von Julius Steiner und wahrscheinlich auch Leo Wagner durch die Stasi der DDR.

Im Jahr 1980 beendete Kiesinger seine Karriere als Politiker und arbeitete an seinen Memoiren. Von seinen geplanten Memoiren wurde nur der erste Teil (Dunkle und helle Jahre) fertiggestellt, der die Jahre bis 1958 umfasst. Er wurde erst nach seinem Tod im Jahr 1989 veröffentlicht. Kiesinger starb am 9. März 1988 in Tübingen, vier Wochen vor seinem 84. Geburtstag. Nach einem Requiem in der Stuttgarter St.-Eberhard-Kirche wurde sein Trauerzug von Demonstranten (hauptsächlich Studenten) begleitet, die an seine frühere Mitgliedschaft in der NSDAP erinnern wollten.

Bücher

Schwäbische Kindheit. ("Schwäbische Kindheit", Wunderlich Verlag, Tübingen 1964.

Ideen vom Ganzen. Reden und Betrachtungen. (Ideen vom Ganzen. Reden und Betrachtungen., Wunderlich Verlag, Tübingen 1964.

Stationen 1949-1969,. Wunderlich Verlag, Wunderlich Verlag, Tübingen 1969.

Die Stellung des Parlamentariers in unserer Zeit. (Die Stellung des Parlamentariers in unserer Zeit", Stuttgart 1981.

Dunkle und helle Jahre: Erinnerungen 1904-1958. ("Dunkle und helle Jahre: Erinnerungen 1904-1958", Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1989